Es sind solche Bilder, die seit Sonntag Mittag ohne Ende auf allen Kanälen des tschechischen Fernsehens immer und immer neu gezeigt werden. Fernsehen und Radio haben ihre Programme geändert, die Zeitungen kommen mit einer Sondermeldung nach der anderen in ihren Internetausgaben. Und ein ganzes Land ist wie im Schock: Vaclav Havel, „Vašek“, ist nicht mehr. Er starb in der Nacht zum Sonntag friedlich, im Schlaf. Auch wenn die Nachricht nicht unerwartet kam; sie hat die Tschechen dennoch bis ins Mark getroffen.
Seit Monaten ging es dem früheren tschechoslowakischen und tschechischen Präsidenten sehr schlecht. Er litt seit März unter schweren Atemproblemen. Seine öffentlichen Auftritte wurden immer seltener. Vergangene Woche kam er von seinem Landhaus in Nordböhmen, wo die Luft besser ist als im Kessel der Moldau, noch einmal nach Prag, um einen seiner engsten politischen und persönlichen Freunde zu treffen, den Dalai Lama. Er äußerte sich auch noch einmal politisch, sorgte sich nach den Wahlen in Russland um den Zustand der Demokratie dort. Bis zuletzt blieb er sich so treu.
Am 2. Februar 2003 endete die letzte seiner möglichen Amtszeiten, in denen er als Präsident gleich zwei Staaten vorstand, der Tschechoslowakei und der Tschechischen Republik. Eigentlich wollte er gar nicht Staatsoberhaupt werden, am Ende jener verrückten, alle Welt bezaubernden Tage der „Samtrevolution“ 1989. „Olga (Havels erste Ehefrau, Anm.) ist auch dagegen“, zitiert ihn seine Biografin Eda Kriseová. Sie habe gedroht, sie werde sich scheiden lassen. Und Olga selbst zur Biografin: „Das ist unmöglich, dass er Präsident wird. Du weißt doch auch, dass er sich nicht dafür eignet.“ Doch Vaclav und Olga hätten da schon nicht wirklich mehr nein sagen können. „Havel na hrad!“ – „Havel auf die Burg!“, skandierten Zigtausende auf dem Prager Wenzelsplatz und hätten ihn notfalls auch auf ihren Schultern ins Amt getragen. Als der einstige Staatsfeind dann tatsächlich in die prunkvollen Räume der Prager Burg einzog, erschien ihnen das wie in einem modernen böhmischen Märchen.
Man kann auf verschiedene Art Bilanz der Jahre mit Havel ziehen. Die dem Dichterpräsidenten wohl fernste wäre eine in schnöden Zahlen. Aufschlussreich sind die aber trotzdem. Bei 181 Staats- und Arbeitsbesuchen verbrachte er 391 Tage, mehr als ein ganzes Jahr, in 59 Ländern. Am häufigsten war er in Deutschland und den USA. Es hätten noch viel mehr Reisen sein können, hätte es da nicht auch eine schmerzlichere Statistik gegeben. Die weist allein in seiner Präsidentenära 17
Krankenhausaufenthalte verteilt über 230 Tage aus. Mehrfach hing Havels Leben an einem seidenen Faden, zweimal rettete ihn der Innsbrucker Chirurg Ernst Bodner in letzter Minute. In jenen Tagen suchten viele der sonst herzlich gottlosen Tschechen Halt im Gebet, bemüht, den ihnen ganz unerträglichen Gedanken zu verscheuchen, dass am Ende auch ihr „Vašek“ sterblich sein könnte.
Als Havel aus dem Amt schied, hinterließ er eine vertrauenswürdige und respektierte Demokratie, ein Land, das zur Nato gehört und sich damals anschickte, in die EU aufgenommen zu werden. Tschechien war da auf dem Weg, zu einem ganz „normalen“ Land zu werden, das den Zauber der Revolutionszeit lange hinter sich gelassen hat.
Havel hat sich nach seiner aktiven politischen Zeit immer wieder in das Geschehen in seinem Land eingemischt, hat überdies große Verdienste in Menschenrechtsfragen erworben. Seine größte Freude war es aber, wieder zu den Wurzeln als Dramatiker zurückkehren zu können. Die Uraufführung seines Stückes „Abgang“, das er später selbst verfilmte, bescherte ihm ein umjubeltes Comeback als Bühnenautor. Das Werk handelt von den Gefühlen eines Staatsmannes, dessen Zeit abgelaufen ist, zeigt, wie ein Mensch in einer ganz anderen Welt lebt, als er glaubt. Havel hat als Politiker immer die Angst umgetrieben, den Blick für die Realitäten zu verlieren. Er wollte nicht zum selbstverliebten Schwächling werden, der einst Prinzipien hatte, im Angesicht des Machtverlustes aber seine Wertvorstellungen leichthin opfert, wie das dem Haupthelden in seinem Stück passiert. Havels Angst vor eigenem Versagen war unbegründet. Er ist sich bis zum Schluss, nicht nur seiner politischen Karriere, treu geblieben.
Der letzte Politiker vor dem ich meinen Hut ziehen würde ist tot.
OdpovědětVymazatRuhen Sie in Frieden, Vaclav Havel.